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Zukunft Euro: Stabilität durch Wandel

Beitrag von Mario Draghi, Präsident der EZB,
in: „Die Zeit“, 29. August 2012

Überall in Europa findet derzeit eine Grundsatzdebatte über die Zukunft unserer Währung statt. Viele Menschen machen sich Sorgen, wie es mit Europa weitergeht. Die angebotenen Lösungsvorschläge sind jedoch vielfach nicht attraktiv, denn sie reduzieren Antwort auf ein schlichtes Entweder-Oder: Entweder ein Zurück in die Vergangenheit, oder der Quantensprung hin zu einer Art Vereinigten Staaten von Europa.

Grund für die vielfach geäußerten Bedenken ist nicht der Euro als Währung. Die Ziele, die Europa mit seiner Einführung verfolgt hat, sind heute ebenso aktuell wie damals, als der Euro aus der Taufe gehoben wurde. Vielleicht ist es an der Zeit, uns wieder ins Gedächtnis zu rufen, warum wir den Euro geschaffen haben: damit alle Europäer eine sichere Währung haben und in einem Umfeld stabiler Preise leben können; damit nachhaltiges Wachstum eine solide Grundlage hat; damit die Vorteile des weltgrößten Binnenmarkts für alle nutzbar werden; damit der historische Prozess der europäischen Einigung unumkehrbar wird; damit Europa sich auch in Zukunft nicht nur wirtschaftlich sondern auch politisch in einer globalisierten Welt behaupten kann.

Der Grund für die gegenwärtige Euro-Debatte ist das institutionelle Defizit der Euro-Zone. Historisch betrachtet sind Währungen eng mit den hinter ihnen stehenden Institutionen verbunden. Deshalb argumentierten vor der Einführung des Euro viele dass die gemeinsame Währung erst als krönender Abschluss eines langfristigen Prozesses der politischen Integration kommen könnte. Die Länder der Währungsunion bilden schließlich eine Schicksalsgemeinschaft – und die braucht ein gemeinsames und ausreichend demokratisch legitimiertes Fundament.

Doch als es in den neunziger Jahren um die Ausgestaltung der Währungsunion ging, entschied man sich bewusst gegen ein traditionelles, am Vorbild des Nationalstaats orientiertes Modell. Der Euro wurde als „Währung ohne Staat“ eingeführt; die Souveränität und Vielfalt seiner Mitgliedstaaten sollte gewahrt werden. Dieses sogenannte „Maastricht-Konzept“ war die Blaupause für den institutionellen Rahmen der Währungsunion.

Aber die Ereignisse der vergangenen Jahre zeigen deutlich, dass dieses institutionelle Konstrukt nicht ausreichend in der Lage war, die Volkswirtschaften der Euroländer auf einen nachhaltigen Pfad zu führen, und die Schulden- und Vertrauenskrise wirksam zu bekämpfen. Daher ist Rückkehr zum Status quo ante keine Lösung. Die Krise hat die Probleme verdeutlicht, die beim Zusammenwirken einer einheitlichen Geldpolitik mit lediglich ansatzweise koordinierten und überwachten Wirtschafts- und Fiskalpolitiken der Mitgliedsstaaten entstehen. Koordinierung, sagte Jean Monnet einmal, sei eine Methode, die Diskussionen fördere, aber nicht zu Entscheidungen führe Entscheidungsstärke aber ist dringend nötig für die zweitwichtigste Währung der Welt.

Eine erneuerte institutionelle Architektur für die Euro-Zone wäre daher wünschenswert, denn nur so können Wohlstand und Stabilität auch nachhaltig garantiert werden – für den gesamten Währungsraum und insbesondere auch für Deutschland. Deutschlands Erfolgsrezept ist seine umfassende Integration in die europäische und globale Wirtschaft. Um diesen Erfolg und den Wohlstand des Landes auch zukünftig zu sichern, muss Deutschland wirtschaftlich in der Mitte Europas verankert bleiben: als Fixpunkt einer soliden Währung, als Zentrum einer stabilen Währungszone, als Schwergewicht in einer dynamischen und wettbewerbsfähigen europäischen Volkswirtschaft. Nur eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion kann diese so vorteilhafte Einbindung Deutschlands nachhaltig gewährleisten.

Diese neue institutionelle Architektur bedeutet nicht, dass jetzt zuerst eine politische Union herbeigeführt werden muss. Die Währungsunion braucht ein Mehr an gemeinsamer Entscheidungsfindung. Wirtschaftliche und politische Integration können jedoch parallel laufen. Dort, wo es nötig und nützlich ist, sollte nationalstaatliche Souveränität gebündelt werden, und die entsprechende demokratische Legitimation verstärkt werden.

Wie weit nun sollte dieser Prozess der tieferen Integration gehen? Die Antwort darauf ist ganz bestimmt nicht die Zentralisierung der Wirtschaftspolitik in Brüssel. Stattdessen sollten wir diese Frage pragmatisch angehen: wir sollten sachlich und in Ruhe diskutieren, welcher Voraussetzungen es zur Vollendung der Wirtschaft- und Währungsunion mindestens bedarf. Und wir werden feststellen, dass viele der notwendigen Schritte durchaus im Rahmen des Erreichbaren sind.

Für die Finanzpolitik heißt dies, dass die nationalen Haushalte effektiv überwacht werden müssen. Die unmittelbaren Auswirkungen fehlgeleiteter Haushaltspolitik für die Währungsunion als Ganzes sind einfach zu schwerwiegend, als dass man hier den Ländern allein die Verantwortung überlassen sollte. Damit alle Länder in der Währungsunion auch langfristig wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen, sollten Mindeststandards für die Wettbewerbsfähigkeit festgelegt werden. Alle Euroländer müssen in der Lage sein, tragfähiges Wachstum und Beschäftigung zu schaffen, ohne dabei übermäßige Ungleichgewichte aufzubauen. Es kann nicht sein, dass einige Regionen dauerhaft große außenwirtschaftliche Defizite aufweisen oder auf die Finanzhilfe durch andere angewiesen sind. Die Euro-Zone ist kein Nationalstaat, in dem ein derartiges Ausgleichssystem ausreichend Unterstützung von der Bevölkerung bekäme.

Die Währungsunion benötigt auch eine gemeinsame Finanzmarktarchitektur. Das bedeutet Regulierungskompetenzen auf europäischer Ebene, damit Banken nicht länger übermäßige Risiken eingehen; damit einer Vereinnahmung der nationalen Aufsichtsbehörden durch die Finanzbranche entgegengewirkt wird und damit nicht immer wieder Europas Steuerzahler für die Bankenrettung herangezogen werden. Zum Schutz der Staatsfinanzen bedarf es außerdem eines geordnetes Verfahrens für die Abwicklung von Banken – wie es auch in anderen föderal verfassten Währungsräumen üblich ist. In den Vereinigten Staaten beispielsweise wurden seit 2008 pro Jahr durchschnittlich 90 meist kleinere Banken abgewickelt, ohne dass sich dies negativ auf die Zahlungsfähigkeit der USA ausgewirkt hätte.

Die Entwicklung der politischen Union kann – und sollte – Hand in Hand mit der Errichtung einer Fiskal-, Wirtschafts- und Finanzmarktunion gehen. Die gemeinsame Ausübung von Souveränitätsrechten und die demokratische Legitimierung können gleichzeitig ausgebaut werden. Sechs Jahrzehnte europäische Integration haben bereits ein beträchtliches Maß an politischer Gemeinsamkeit geschaffen. In Teilen ist die politische Union längst Wirklichkeit. Gemeinsame Entscheidungen werden im EU-Ministerrat getroffen, der der Zusammensetzung und Funktionsweise einem „europäischem Bundesrat“ nicht unähnlich ist. Zahlreiche Gesetzgebungskompetenzen liegen beim direkt gewählten Europäischen Parlament. Nun gilt es die Herausforderung zu meistern, nach und nach die demokratische Teilhabe auszuweiten und die Bürgerinnen und Bürger effektiver in diese Prozesse einzubinden, und die politische Willensbildung auf nationaler und europäischer Ebene besser zu verschränken.

Auf diesem gemeinsamen politischen Fundament können die Europäer sich auf neues weitreichendes Grundprinzip einigen: dass es weder legitim noch ökonomisch tragbar ist, wenn die Wirtschaftspolitik einzelner Länder über Grenzen hinweg Risiken für die Partner in der Währungsunion schafft. Diese Maxime muss die Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik leiten. Letztlich wird nur eine Politik bestand haben, die mit den Bedingungen einer gemeinsamen Währung vereinbar ist. Kein Land wird länger über seine Verhältnisse leben können. Arbeitsmärkte müssen so funktionieren können, dass Beschäftigung geschaffen und Arbeitslosigkeit abgebaut wird. Banken sollten sich strenger Regulierung nicht entziehen könnten. Diese Einschränkungen bedeuten aber nicht das Ende des europäischen Sozialstaats. Vielmehr sind sie die Grundlage seiner Erneuerung.

Eine echte Wirtschaftsunion ist aus Sicht der Europäischen Zentralbank ein wichtiges Gegenstück zur gemeinsamen Geldpolitik. Die Schritte hin zu einer derartigen Wirtschaftsunion verlangen nach einer klaren Struktur und Zeitabfolge. Während dieser notwendige Wandel im Gange ist, können die Bürger Europas sich auf drei Dinge verlassen: Die EZB wird alles Notwendige tun, um die Preisstabilität zu gewährleisten. Sie wird unabhängig bleiben. Und sie wird immer im Rahmen ihres Mandats handeln.

Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass die Treue zu unserem Mandat es gelegentlich verlangt, über die üblichen geldpolitischen Maßnahmen hinauszugehen. Wenn an Kapitalmärkten Angst und Irrationalität vorherrscht, wenn sich der gemeinsame Finanzmarkt wieder entlang der Ländergrenzen aufspaltet, dann erreicht das geldpolitische Signal der EZB nicht alle Bürger der Euro- Zone gleichermaßen. Diesen Störungen müssen wir begegnen. Nur so können wir eine gemeinsame Geldpolitik, und schlussendlich auch Preisstabilität für alle in der Euro-Zone gewährleisten. Dies kann hin und wieder außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. Diese, wenn nötig, zu ergreifen ist unsere Verantwortung als Zentralbank für die Euro-Zone als Ganzes.

Die EZB ist keine politische Institution. Wir sind unserer Verantwortung als Organ der Europäischen Union verpflichtet. Wir werden daher unser Ziel, eine starke und stabile Währung, nie aus den Augen verlieren. Die Banknoten, die wir herausgeben, zeigen die europäische Flagge; die Währung ist ein kraftvolles Symbol der gemeinsamen europäischen Identität.

Diejenigen, die die Geschichte rückgängig machen wollen, unterschätzen die fundamentale Bedeutung Europas. Aber auch diejenigen, die eine vollständige Föderalisierung Europas fordern, schießen über das Ziel hinaus. Was wir brauchen, ist ein schrittweiser und strukturierter Wandel hin zu einer vervollständigten Wirtschafts- und Währungsunion. Dieser Wandel würde dem Euro das erforderliche stabile Fundament geben. Dann würden auch die grundlegenden Ziele der Europäischen Union und des Euro erreicht: Stabilität, Wohlstand und Frieden. Das ist es, was sich die Menschen in Europa – und auch in Deutschland – wünschen.

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